Halbzeit

13 05 2012

Meine lieben Leser,

Nach meiner ersten großen Reise im Dezember/Januar stellte sich ein Gefühl von Demotivation und Langweile für mich ein. Obwohl sich rahmenbedingt nicht wirklich viel verändert hatte. Es fiel mir schwer nach einem Monat Reise wieder in die Arbeit und das plötzlich alltägliche, gewohnte Leben in Cali zu treten. Sicherlich kam dieser Gedanke der Demotivation auch durch den Tod meines Opas, der das erste große Heimweh und den Wunsch bei der Familie zu sein auslöste. Für viele der calenischen Freunde, mit denen ich vor der Reise meine Wochenenden verbracht hatte, endeten die Semesterferien und sie waren somit weniger flexibel. Im Grunde habe ich mich zu diesem Zeitpunkt wohl einfach vollständig eingelebt, was letztendlich eine sehr schöne Tatsache ist. Auch begannen Gedanken wie, wie wird wohl das Studium sein, bin ich da intellektuell überhaupt fähig zu, sollte ich nicht im Grunde jetzt schon anfangen mich mit Fachliteratur im Pädagogischen Bereich zu beschäftigen? Darf ich eigentlich gerade nur das Leben genießen, ohne mich wirklich intellektuell weiter zu bilden? Nun bin ich der Meinung, dass ich das absolut darf, da die Lebenserfahrungen die ich hier sammle weit über das Theoretische hinausgehen, dass ich mir gerade aneignen könnte. Und studieren werde ich sicher noch genug.

Im Februar erschien Sandra. Auch sie reiste letztes Jahr mit den „Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiner e.V“ nach Peru und arbeitete dort in einer Schule für Menschen mit Behinderungen. Sie zog es zurück nach Lateinamerika und besuchte uns für knappe 2 Wochen Tarapacá. Irgendwie passte es sofort zwischen uns und wir verbrachten 5 schöne Wochen zusammen in Cali. In dieser Zeit reisten wir mit einem anderen neuen Freund und seiner Familie in die Nähe von Popayán. Dort wohnten wir in einem Hostel in dem Ort Coconuco, der mitten in den Anden gelegen ist. Wir wanderten, sangen Karaoke und schwammen in wunderschönen Thermalbädern inmitten der Berge. Eins der Bäder bestand aus purem Schlamm und es war die reinste Freude, sich mit Schlamm zu bewerfen. Nach unserem Aufenthalt in Coconuco fuhren wir für den Sonntag nach Popayán, einer von den Spaniern erbauten Kolonialstadt. die Häuser sind aufgrund der Kolonialbauweise der Spanier weiß, was für das nun an Farben gewöhnte Auge sehr ungewohnt ist.

Die Zeit mit Sandra, Manuel und den Anderen hat den Sommer in mir zurückgeholt. Wir gingen auf Konzerte ins Konservatorium und in der Philharmonie, in die Uni Valle, ein riesiger Unicampus mit vielen spannenden Leuten, ins Theater, auf Poetryslams und in Salsabars. Diese kulturell angehauchte Zeit inspirierte mich sehr. Leider zerrte es auch sehr an meinen Kräften,  da ich einen Marathon zwischen Freizeitaktivitäten und Arbeit hinlegte.

Zwischenseminar.

Anfang März begann das Zwischenseminar mit allen Freiwilligen, die in Waldorfinstitutionen in Kolumbien arbeiten. Am Freitagabend trafen sie im Waldorfzentrum in Cali ein, wo wir 2 Tage bleiben sollten. Nach der Arbeit eilte ich nach Hause, sammelte meine sieben Sachen ein, und fuhr ins „Centro Cultural Antroposofico“. Wir Freiwilligen kannten uns schon vom Vorbereitungssemniar, das in  Tübingen stattfand. Dort verbrachten wir 10 unglaublich intensive Tage zusammen. Die dort aufgebaute harmonische Atmosphäre breitete sich sofort unter uns aus, sowie eine eigenartig deutsche Mentalität. Am Abend machten wir uns alle zusammen auf, um Cali, der Stadt des Salsa zu zeigen, dass auch wir deutschen „Passión“ in unseren Körpern tragen.

Der Samstag war mit einer der schönsten und erlebnisreichsten Tage, die ich bisher hier in Kolumbien erleben durfte. Wir fuhren nach Villa Rica, was übersetzt „reiches Dorf“ bedeutet, aber in Wirklichkeit eins der armen Afrodörfer ist, die am Rande von Cali liegen. Johannes, der dritte calenische Freiwillige arbeitet teilweise in der Waldorfschule und teilweise in Villa Rica. Wir besuchten dort ein Zentrum, in dem die schwarzen Kinder und Jugendlichen jeden Tag zu Mittag essen können, wo aber auch Programme für junge Mütter laufen und Musik, Tanz und Kunst praktiziert wird. So fanden sich vor Jahren ein paar Jungs zusammen und wollten Musik machen. Durch die Hilfe der Stiftung erreichten sie einen ordentlichen Erfolg und traten zusammen mit anderen Tanz und Musikgruppen in einem Bambushaus für uns auf. Es war unbeschreiblich schön, mit den schwarzen Kindern und Jugendlichen Hand in Hand zu tanzen, zu klatschen, einfach durch Musik, Tanz und vor allem Lebensfreude  verbunden zu sein, obwohl die Lebensrealitäten, Mentalitäten so unterschiedlich sind.

Nach unserem Aufenthalt in Cali fuhren wir mit dem Nachtbus nach Medellín. Dort kamen wir in „Arca Mundial“, einer Schule für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unter. In Cali zog jeder einzelne Freiwillige vor der  Gruppe sein Resúmee des vergangenen halben Jahres. In Medellín konzentrierten wir uns vor allem auf die zweite Hälfte unseres Jahres. Ich nahm mir beispielsweise vor, endlich mit einem Salsatanzkurs zu beginnen. Am letzten Tag fuhren wir mit der Metro bis zu einer Station im Norden, um von dort aus mit der Seilbahn hinauf in ein ärmeres Barrio zu fahren. Man sitzt dann nun in dieser Seilbahn und schaut auf die kleinen, minimalistisch zusammengesetzten Steinhütten, die ein Leben an der Armutsgrenze verraten. Dennoch haben die Menschen immerhin ein Dach über dem Kopf. Die Seilbahn bietet eine schnelle Fortbewegungsmöglichkeit für die Menschen, ist aber auch ein Schutz für sie. Die Barrios führen untereinander Kriege und die Seilbahn bietet somit den einzig sicheren Weg von der Stadt hoch in die Barrios zu gelangen. Für uns bestand jedoch keine Gefahr, sagte die Lehrerin, die uns begleitete. Oben genossen wir einen weitreichenden Ausblick auf Medellín und die Aufmerksamkeit hunderter Schüler, von der Schule, die wir besuchten. Wir stellten uns zusammen und sangen ein Lied für die Schüler, danach rannten sie in Kleingruppen auf uns zu, um uns das Barrio und ihre Hütten zu zeigen. Ich fand mich schließlich mit drei pubertären Jungs wieder, die mich durch das ganze Viertel führten. Da stand ich plötzlich in spärlich eingerichteten Hütten, musste mir jeden Winkel des Häuschens anschauen und ein Foto mit den Jungs machen. Voller Stolz stellten sie mich ihren Familien vor, denen meist ein Vater oder Geschwisterteil fehlte, da dieser im Gefängnis, tot oder an einem andren Ort arbeiten war. Die Lebensbedingungen der Menschen in den Dörfern ist teilweise gravierend, der Tod ist für sie ein natürlicher Teil des Lebens, mit dem sie sich zu arrangieren haben. So erzählten sie mir, dass viele ihrer Bekannten im Gefängnis seien, bei Konflikten in den Barrios ums Leben gekommen seien, oder aus Krankheiten gestorben waren. Dennoch fühlte ich wieder diesen Frieden und eine gewisse Lebenslust in diesen Teilen der Stadt. Die Menschen wirken stolz auf das Wenige was sie haben, sind sogar stolz es mit anderen zu teilen. Die Kinder sind glücklich in die Schule gehen zu können und vielleicht mal irgendwann runter in die Stadt zu gehen.



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