Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

13 09 2012

 

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe,

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andere, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum beschreiten,

An keinem wie an Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegensenden,

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse

Danke Leni, dass du mir dieses Gedicht geschenkt hast. Es lässt mich an meinen lieben opa denken, der mir eines meiner Lieblingsbücher von Hermann Hesse schenkte.

So ist es. Nun heißt es Abschied nehmen. Vor einem Jahr steckte ich in den Vorbereitungen für die Reise, packte, eilte von einem Abschied zum nächsten, wollte alle meinen Lieben nocheinmal persönlich sehen und verabschieden. Ich kann nur eins feststellen. Dieses eine Jahr in Kolumbien hat ausgereicht, um den Abschied genauso schwer und ausgiebieg werden zu lassen, wie vor einem Jahr in Deutschland. Ich habe ein Stück meiner Seele, meines Herzens hier verloren.

Die letzten Wochen waren das größte Chaos. Tutu und Kis haben in San Fernando, einem Viertel im Zetrum der Stadt, eine Wohnung gefunden, dessen Garage die Möglichkeit bietet, einen Kleidungsgeschäft zu eröffnen. Bisher hat Tutu seine Hindumode dem Kunden mit seinem Auto geliefert, nun können die Leute zu ihm kommen. An dem Wochenende des Umzugs befand ich mich in Bogotá. Cil sollte dort ihren Freund Tobi treffen, ich wollte Laura nocheinmal sehen. So verließ ich Freitagsabends die Wohnung im Norden, flog mit Cil nach Bogotá und kehrte Sonntags alleine nach Cali zurück. Direkt fuhr ich in das neue zu Hause in San Fernando. Am gleichen Wochenende war auch der neue Praktikant  Tarapacás Wolfgang in Cali angekommen und hatte ein Zimmer der neuen Wohnung bezogen. Nach diesem Wochenende begannen auch die Abschiede in Cali. Am Mittwoch letzter Woche trafen sich die Muchachos Tarapacás, ihre Eltern, alle Lehrer und Praktikanten im Waldorfzentrum. Der Anlass war Marlenes und mein Abschied und die Begrüßung der neuen Praktikanten. Es wurde eine Band vom Pazifik eingeladen und getanzt. Meine liebe Schwester Cil war auch mit Tobi dabei. Nachdem sie Bogotá verlassen hatte und Tobi Saltento zeigte, zog es sie zurück nach Cali. Unsere Beziehung hat sich sehr schön entwickelt, wir sind verschieden, das waren wir immer, aber auf einer sehr vertrauten Basis begegnen wir uns und genießen unsere gemeinsame Zeit. Mir hat es viel bedeutet, dass sie mich in Cali besuchte, dass sie mein Leben dort kennen lernte. Wir fuhren zu Anne und Gunnar, mit deren Kindern auf die Finca in den Bergen. Wir gingen zusammen tanzen in Cali, verbrachten laue Sommerabende auf der Treppe vor dem neuen Haus. Wir lernten zusammen ein bisschen Bogotá kennen. In den letzten Tagen begleitete sie mich beim Abschiednehmen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Die Rückkehr nach Deutschland bedeutet auch, sie wieder öfter zu sehen. Al fin! Der Abschied im Waldorfzentrum war sehr berührend. Die Eltern dankten uns, die Lehrer beschenkten uns und außerdem wurde einfach 2 Stunden lang wild getanzt. Viva Colombia.

Am Freitag trafen wir uns Praktikanten, Freunde, Tutu, Kis, Cil und Tobi in meiner Lieblingssalsabar. Wir tanzten die ganze Nacht. Ich fühlte mich sicher und auch ein bisschen stolz. Nun tanze ich Salsa ohne zu denken, auf den Boden zu schauen, oder dem anderen auf die Füße zu schauen und es sieht langsam nach etwas lateinamerikanischen aus 🙂 Endlich hatte ich mal wieder etwas so intensiv verfolgt.

Am Sonntag waren Kis, Tutu, Matias und ich bei Anne und Gunnar und Familia zum Frühstück eingeladen. Ich wurde den ganzen Morgen umarmt und von schönen Abschiedsworten begleitet. Die Familie Mordhorst, sowie Tutu, Kis und Matias sind zu meiner Familie geworden. Die Beziehungen zu ihnen, die so unabhängig vom Alter aufgebaut wurden, haben mich stark geprägt in diesem Jahr. Sie haben mir in diesem Jahr ein Stück Familie geschenkt. Mit Sarah, der Tochter Anne und Gunnars und auch mit Florian habe ich die letzten Monate jedes Wochenende verbracht.

Heute war der letzte Tag in Tarapacá. Marlene und Ich haben eine riesengroße Schlammaktion geplant. Wir zogen uns unsere Badebekleidung an und schmierten uns gegenseitig mit Erde und Schlamm ein. Irgendwann rief Kis, dass wir nun beginnen könnten den Schlamm zu werfen. Keiner blieb verschont. Anschließend stürzten wir uns alle in den See. Ich habe noch nie eine solche Sauerei gesehen, aber es war köstlich! Como los maranos! „Tarapacá ist ein Ort um zu SEIN“, ließ Gunnar feierlich verlauten.

Rückblickend weiß ich nicht, wofür ich am meisten dankbar sein soll. Die Arbeit mit den Muchachos lässt einen sich selbst einen Moment vergessen und sich auf sie konzentrieren. Sie brauchen deine Kraft, sie brauchen deine Energie und Begleitung. In diesem Moment passiert es aber, dass man zu sich selbst kommt, seine eigenen Grenzen kennenlernt und überschreitet. Ich fühle mich so sicher und bereichert, so gestärkt und in mir ruhend. Nun kann ich mir vorstellen alleine zu leben, zu studieren und die Aufgaben zu meistern, die damit verbunden sind. Ich bin dankbar, dass ich Kolumbien mit all seinen schönen und komplizierten Seiten kennen lernen durfte. Ich liebe und kritisiere dieses Land, Ich will es weiter erforschen. Ich bin dankbar für die Familien, die Freunde, die ich hier gefunden habe. Dankbar für Sarah, Laura, Sandra, Kis, Tutu, Kis, Florian, Alejandra, u.s.w.. und für die, die mich besuchten. Max, Fred, Wenke und Jonas, Cil, Mama, Papa und Luis. Ich freue mich nun so sehr auf all euch zu Hause. Danke, dass ihr mich gelesen habt, dass wir in Kontakt geblieben sind. Ich freue mich auf ein paar Tage im meinem sövener Hof mit meinen Eltern, Luis, Cil und den ganzen lieben Freunden..

Eure Zoe