Zwei weitere Tage sind vergangen und langsam erhalte ich einen Eindruck über das „Valle del Cauca“, einen Überblick werde ich wohl niemals haben. Gestern hat uns Mario das Schulgelände gezeigt. Es ist schlicht und ergreifend: wunderschön. Das Unterstufengebäude ist blau angestrichen, nach oben hin zieht es sich ins dunkelblau. Auch in den Klassen verändert sich das Licht von der ersten Klasse bis hin zur 12 und letzten Klasse. In der ersten Klasse ist das Licht warm und eine gemütliche, geborgene Atmosphäre wird verströmt, die dem Kind noch erlaubt spielerisch zu lernen. Später wird das Licht heller, und an die Schüler werden mehr Ansprüche gestellt..
Die Schule ist in einem Kreis angeordnet, in der Mitte befindet sich ein riesiger Baum, um den die Kinder in ihren Pausen spielen. Die Schule besitzt einen großartigen Gartenbaubereich. Wenn man ihn durchläuft schauen große Palmen, bunte Blumen und Bananenstauden auf einen hinab. Alles wird begleitet von den Gesängen von Vögeln und Papageien. Dem einen Papagei bin ich bis auf einen Meter entgegen getreten, zuerst ruhte er und begann dann fürchterlich zu krähen und mit seinen Flügeln zu schlagen, später erfuhr ich, dass er der Papagei des Hauses sei und sehr zickig sein konnte!
Granja Tarapacá: (Dienstag 20.September)
Heute morgen mussten Marlene und ich um halb 6 aufstehen, das ist hier normal. Aufgrund des Jet Lacks und des damit verbundenen früh ins Bett Gehens verspüre ich noch keine übermäßige Müdigkeit, oder Schwierigkeit aufzustehen. Das wird sich sicher ändern! Wir fuhren mit unserem derzeitigen Gastvater zum Colegio und dann weiter zu meinem zukünftigen Arbeits- und Lebensplatz. „G
En la Granja
Das Schulgebäude in Tarapacá
Tarapacá“. Die Fahrtzeit vom Colegio, dass im Süden Cali’s liegt bis zum im Norden gelegenen Palmira, wo sich das Projekt befindet, beträgt ca. 1 ½ Stunden mit dem Auto. Die Fahrt war jedoch nicht nur eine einfache Fahrt. Es war der erste Einblick in ein Leben, dass ich bisher nur auf Fotos oder Reportagen erahnen konnte. Wir fuhren durch Dörfer dessen Armut unglaubliche Außmaße erreicht. Die meisten Menschen, die in diesen Dörfern leben sind Afrokolumbianer und stammen von den ehemaligen Afrikanischen Sklaven ab. Generell besitzt Cali eine Vielfalt an verschiedenen Menschen, wie keine andere Stadt in Südamerika. Es gibt neben den Calenos, Afrokolumbianer und Indigene, sowie Mischungen aus all diesen.
Der Blick in die afrokolumbianischen Dörfer verschlug mir die Sprache und beschämte mich. Ich saß da auf der Rückbank des Kia’s und ließ mich durch die Gegend chauffieren. Und dann kommt das Mitleid. Ändern tut sich daran nichts. Man ist bloß Zuschauer eines grausamen aber exsistierenden Elends. Das Elend zeichnet die Gesichter. Die Häuser sind verwahrlost und eng aneinander gebaut. Überall laufen Tiere herum, wachsen Pflanzen, viele Menschen versuchen am Straßenrand Obst und Gemüse zu verkaufen. Besonders niederschmettern tun mich die Kinder auf der Straße. Ohne Perspektive, oft vereinsamt, krank und drogensüchtig. Auch die Tiere werden hier sehr schlecht behandelt. Gestern morgen fuhren wir mit dem Auto aus dem Tor und sobald es sich hinter uns verschlossen hatte sah ich auf der Straße abgemagerte Pferde und Kühe, deren Rippen man zählen kann. Oft kommt es vor, dass ein kleines Pferd eine Kutsche mit mehr als 6 Personen ziehen muss und dann für Stunden am Wegesrand abgestellt wird.
Jetzt endlich zu etwas Schönem. Als wir in Palmira ankamen war noch niemand da. Mein Gastvater zeigte uns das Grundstück des Projektes, dass ebenso wie die Schule im anthroposophischen Stil erbaut wurde. Plötzlich durchströmte mich ein ungeheures Glücksgefühl, denn vor mir erstreckten sich die Felder des Projektes, ein kleiner See und die hier 5000m hohen Anden. Sie scheinen dort so nah zu sein, sodass man sie direkt erklimmen möchte!
Das Grundstück besitzt neben Feldern, Beeten und dem Wasser ein kleines aber feines Gebäude, in dem sich zwei Klassenräume, ein Gemeinschaftsraum und offene Küche befindet.
Die Begegnung mit den „muchachos“, so werden die Menschen mit den verschiedenen Behinderungen hier liebevoll genannt, war sehr interessant und unglaublich erfüllend. Nach und nach kamen sie auf Johannes, mich und Marlene zu, stellten sich vor, gingen einfach an uns vorbei oder berührten uns nur. Ein Mädchen ist besonders herzlich und immer schwer enttäuscht, wenn man sie nicht versteht. Die Begegnungen waren auch deshalb so spannend, weil einfach jeder seine ganz besonderen Charakterzüge und Eigenheiten besitzt. Sie sind laut, leise, lustig, ernst, wild, zurückgezogen. Dann kommen natürlich noch die unterschiedlichen Behinderungen dazu. Es gibt einen elfjährigen Autisten, der nicht spricht wenn man ihn bittet, aber für sich alleine wiederholt er plötzlich ein Wort hundert Mal. Darüber hinaus gibt es einige die geistig schwächer sind, oder andere die Trisomie 21 haben. Wieder andere zeigen Merkmale aus unterschiedlichen Behinderungen auf, oder wirken gar nicht behindert. Ein Junge ist schwerstbehindert und zu keiner wirklichen Konversation fähig, aber plötzlich umfasst er deine Hand ganz fest. Ich erhoffe mir irgendwann zu erkennen, was er braucht. Ein junger Mann in meinem Alter ist psychisch sehr krank und hat sicherlich ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, es ist schwer ihm die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, ihm aber auch verständlich zu machen, wenn man gerade keine Zeit für ihn hat. Ich habe heute schon ein bisschen begonnen den Alltag mit den Muchachos zu verbringen. Mit einem älteren Jungen, der meiner Einschätzung nach auch autistische Züge hat, habe ich Käse gemacht. Mit einem anderen, der das Down Syndrom hat, habe ich die Beete gegossen und bin dafür immer wieder und wieder zum Fluss gelaufen um neues Wasser zu holen.
Ich habe das Gefühl der Aufgabe gewachsen zu sein und bestimmt und dennoch liebevoll sein zu können.
Die Begrüßung der Gruppe und der Maestras (Lehrerinnen, Betreuerinnen) war sehr schön und ich habe mich willkommen geheißen gefühlt. Wir standen mit allen zusammen im Kreis und haben eine Art Morgentanz und ein Morgengedicht (Morgenspruch) aufgesagt und so den Tag begonnen. Marlene und ich spielten mit der Gruppe Blockflöte. Marlene wird für die Jüngeren und ich für die Älteren Muchachos zuständig sein, beziehungsweise die Maestras bei ihrer Arbeit begleiten und unterstützen. Ich bin damit sehr zufrieden. Ich kann mir gut vorstellen ein Jahr in dieser Gruppe zu sein, ein Teil von ihr zu sein, zu lernen und zu lehren. Es ist so schön einen Bezug zu den Muchachos aufzubauen, einige sind heute schon so zutraulich gewesen. Ein Mädchen aus Marlenes Gruppe kam heute zu mir und streichelte mir den Rücken, dann sagte sie: Tienes pelos bonitas!
Die Feldarbeit gefällt mir unheimlich gut. Ich liebe den Blick auf die Berge, außerdem tut die Anstrengung nach einer trägen und unproduktiven Zeit sehr gut. Anschließend gibt es für die Muchachos eine Stunde lang Unterricht. Nach dem Mittagessen und der Pause, in der ich tatsächlich Fußball spielte, konnte man künstlerisch tätig sein und den Muchachos dabei helfen. Es gibt hier nicht nur die Möglichkeit zur kreativen Entfaltung, auch die feinmotorischen Fähigkeiten der Muchachos wird erweitetert. Es ist mein persönliches Paradies!
Um halb 4 Uhr endet der Tag für die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen sowie für uns und die Maestras. Ein typisch kolumbianischer Bus bringt jeden Einzelnen nach Hause. Bis zu unserer Gastfamilie, die wir aufgrund der folgenden Fahrzeit wechseln werden, brauchten wir fast 3 Stunden. Eine Fahrt voller Liebesgeständnisse der Muchachos, Schlaglöchern die zu Übelkeit führen, Blicken auf arme zerfallene Dörfer und dann im Zentrum der Stadt die Sicht auf Glamour und dicke Autos, kamen wir zu Hause an.
Obst essen. Blog schreiben. Licht aus. Schlafen. Buenas noches mis amores!
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